DIE LINKE im Kreistag Gütersloh; Konkrete Auswirkungen von TTIP auf den Kreis Gütersloh

DIE LINKE im Kreistag Gütersloh, Hans-Werner Elbracht

Der Antrag der Initiative "Demokratie wagen" in seiner allgemeinen Umschreibung zur Anforderung einer Positionierung auch insbesondere gegenüber übergeordneten Stellen wurde nach einem Hinweis von der Bezirksregierung von der TO genommen. Diese Anfrage zielt auf konkrete Konsequenzen hinsichtlich der öffentlichen Daseinsvorsorge im Kreis Gütersloh sowie den negativen Auswirkungen der Liberalisierung des internationalen Dienstleistungshandels für die Einwohner*innen des Kreis Gütersloh.

In dieser Spezifikation sollte die Anfrage zulässig sein. Wir bitten um entsprechende Beantwortung.

 Die Europäische Kommission verhandelt für die Mitgliedstaaten das Transatlantische Freihandelsabkommen mit den USA (TTIP) sowie das Abkommen mit Kanada (CETA). Grundlage dieser Verhandlungen ist ein vom Rat erteiltes Mandat, das nicht offiziell veröffentlicht wird. Die Kommission unterrichtet den Rat und das Europäische Parlament nach jeder Verhandlungsrunde über den aktuellen Sachstand, die Öffentlichkeit hat allerdings keinen direkten Zugang zu diesen Informationen oder Verhandlungsdokumenten.
Allerdings kursieren inzwischen im Internet Dokumente, die die von den Verhandlungspartnern angestrebten Ziele dokumentieren (siehe unten „Weiterführendes“).
Es ist mit Verträgen zu rechnen, die unumkehrbar wären und die keinem politischen Meinungsbildungsprozess unterworfen waren.

DIE LINKE Gruppe im Kreistag Gütersloh bittet um Beantwortung folgender Fragen:

  1. Welche Konsequenzen hat das derzeit von der EU-Kommission im Geheimen verhandelte Transatlantische Freihandelsabkommen mit den USA (TTIP) sowie das Abkommen mit Kanada (CETA) für den Kreis Gütersloh und seine Städte und Gemeinden, so z.B. für die öffentliche Auftragsvergabe, Energiepolitik und Umweltschutz wie auch für Tarife und Arbeitsbedingungen im Kreis Gütersloh, der kommunalen Gesellschaften und Eigenbetriebe?
  2. Inwieweit wären durch eine Liberalisierung des internationalen Dienstleistungshandels auch Dienstleistungen der Daseinsvorsorge für die EinwohnerInnen im Kreis Gütersloh, wie z.B. in Bildung, Kulturförderung, Gesundheit, sozialen Dienstleistungen, Abwasser- und Müllentsorgung, öffentlichem Nahverkehr oder der Wasserversorgung, betroffen? (s.a. PTiSA als Folgeabkommen zu GATS)
  3. Welche Maßnahmen zieht die Verwaltung in Betracht, um mögliche negative Auswirkungen der Liberalisierung des internationalen Dienstleistungshandels auf die Daseinsvorsorge in Bildung und Kultur, Gesundheit und sozialen Dienstleistugnen, Abwasser- und Abfallentsorgung, Öffentlichen Personen-Nahverkehr, Fracking und Wasserversorgung für die Einwohnerinnen und Einwohner des Kreises zu verhindern?

Zum weiteren Hintergrund:
Trotz der offiziellen Geheimhaltungsstrategie sind inzwischen zahlreiche Dokumente im Internet verfügbar. So veröffentlichte die Wochenzeitung „Zeit“ am 27. Februar den englischsprachigen, auf den 2.7.2013 datierten Entwurf der EU-Kommission für das Freihandelsabkommen1, und wenige Wochen später wurde die deutsche Übersetzung der „Leitlinien für die Verhandlungen über die transatlantische Handels- und Investitionspartnerschaft zwischen der Europäischen Union und den Vereinigten Staaten von Amerika“2 veröffentlicht.
Offiziell ist das Verhandlungsmandat der EU für TTIP zwar nicht bekannt, tatsächlich aber inzwischen im Internet verfügbar. Das Mandat umfasst auch kommunal-relevante Handlungsbereiche, etwa das öffentliche Auftragswesen, Energiepolitik und Umweltschutz, „sogar die Trinkwasserversorgung in öffentlicher Hand könnte bedroht sein," sagt der Vorsitzende des Bayerischen Städtetags, Nürnbergs Oberbürgermeister Dr. Ulrich Maly in einer Pressemitteilung zu TTIP, auf die wir ausdrücklich verweisen3. Er fügt hinzu: „Die EU-Kommission könnte in Zukunft mit Hinweis auf internationale Abkommen eine Liberalisierung öffentlicher Dienstleistungen in Europa durchsetzen.“
Das Abkommen soll sowohl die fortschreitende und gegenseitige Liberalisierung von Handel und Investitionen von Gütern und Dienstleistungen gewährleisten, wie auch Regulierungen im Bereich von Handel und Investitionen unter besonderer Berücksichtigung der Abschaffung „unnötiger regulatorischer Handelshemmnisse.
Schon die Schaffung der europäischen Freihandelszone hat erhebliche Konsequenzen auch für Kommunen gehabt, z.B. im Beschaffungs- oder Vergaberecht. Welche Konsequenzen sind daher zu erwarten, wenn die geplante transatlantische Freihandelszone nun auch die USA und Kanada einschließt?
Das TTIP soll über bisherige bi- und multilaterale Handelsabkommen hinaus reichen, d.h. über umfassende Deregulierung insbesondere eine weitergehende Liberalisierung des Dienstleistungsbereichs, den höchsten bisher erreichten Investitionsschutz und den Zugang zu öffentlichen Ausschreibungen auf allen Ebenen nach dem Prinzip der Inländerbehandlung ermöglichen. Im Bereich nicht-tarifärer Handelshemmnisse und Regulierungen sollen diese auf ein Mindestmaß reduziert oder durch erhöhte Kompatibilität, Harmonisierung und gegenseitige Anerkennung transparenter und effizienter gemacht werden.
Wir sind besonders besorgt darüber, dass Teil beider Abkommen ein spezielles Investorklagerecht gegen Staaten ist (investor-state-disputesettlement: ISDS). Trotz des Moratoriums von drei Monaten, das von EUHandelskommissar de Gucht hinsichtlich dieses Kapitels bei TTIP verhängt wurde, ist es notwendig zu sehen, worum es sich dabei handelt, denn es ist sowohl in CETA als auch in der europäischen Energiecharta für ausländische Konzerne aufgenommen: ISDS erlaubt Investoren, wegen sogenannter „nichttarifärer Handelshemmnisse“ Schadenersatzklagen gegen Staaten zu erheben. Klagegründe sind dabei nicht mehr nur Wettbewerbsbeschränkungen oder Enteignungen, sondern entgangene Gewinne aufgrund staatlicher Gesetze, Vorschriften, Richtlinien etc. Aus bisherigen Freihandelsabkommen ist bekannt, dass derartige Klagen nicht vor regulären nationalen Gerichten erfolgen, sondern vor Sonderschiedsgerichten, die im Geheimen tagen, deren Urteile völkerrechtlich verbindlich sind und gegen die es keine Revisions- bzw. Berufungsmöglichkeit gibt. Vier Beispiele:
Das US-Unternehmen Ethyl Corporations verklagte 1997 im Rahmen des Freihandelsabkommens NAFTA Kanada auf Schadenersatz. Das kanadische Importverbot von Benzin mit dem giftigen Zusatzstoff MMT - so das Unternehmen - komme einer Enteignung gleich. Darauf hob Kanada das Verbot auf und zahlte dem Unternehmen eine Millionenentschädigung.
Im Rahmen des nordamerikanischen Freihandelsabkommens NAFTA hat ein Gericht die mexikanische Regierung zur Zahlung von 15,6 Millionen Dollar Strafe verurteilt, weil eine mexikanische Kommune einer US-Firma die Baugenehmigung für eine Giftmülldeponie aus Umweltschutzgründen verweigert hatte. Das Gericht befand, die Kommune habe nicht das Recht dazu.
In einem Bürgerentscheid entschieden sich die Bewohner der kanadischen Provinz Quebec, die Umwelt vor dem Fracking zu schützen. Der Fracking-Konzern Lone Pine verklagte daraufhin den kanadischen Staat auf 250 Mio. US-Dollar Schadensersatz.
Der Vattenfall-Konzern fordert von der Bundesregierung eine Milliarden-Entschädigung für das Abschalten der AKWs. Die Öffentlichkeit erfährt davon fast nichts4.
Es ist zu befürchten, dass hier mit Hilfe von nichtrechtsstaatlichen Mitteln jeder innenpolitische Spielraum für die Regulierung von Bereichen, die noch in der öffentlichen Hand sind, von staatlichen Gesundheits-, Sozial- und Umweltstandards bis hin zu den regionalen oder lokalen Flächennutzungs- und Raumplanungsgesetzen abgeschafft werden könnte. Zusätzlich dürfte das ausdrückliche Ziel des Freihandelsabkommens, der Abbau sogenannter nichttarifärer Handelshemmnisse, unausweichlich ein Schleifen von Standards zur Folge haben. Im Verhandlungsmandat der EU-Kommission zu TTIP ist verallgemeinernd formuliert, dass Regulierungen bezüglich Gesundheitsschutz, Sicherheit, Sozial- und Umweltstandards und kultureller Vielfalt (nur noch) bestehen bleiben sollen, soweit sie „legitim“, „angemessen“ und nicht „unnötig“ sind.
Insbesondere die Vorstellungen der EU gehen weit über das hinaus, was bislang in der EU-Dienstleistungsrichtlinie oder auf globaler Ebene im Rahmen des GATS vereinbart ist. Es ist zu befürchten, dass gerade öffentliche Dienstleistungen in Bereichen wie Verkehr, Wasserversorgung oder Gesundheit deutlich stärker als bisher unter Liberalisierungsdruck geraten, also gerade auch in jenen Sektoren, die bislang noch stark von öffentlichen Unternehmen oder öffentlicher Regulierung geprägt sind.
Zum Beispiel wird es die Liberalisierung des staatlichen Beschaffungswesens unmöglich machen, bei öffentlichen Aufträgen bestimmte Standards vorzuschreiben. Ausländische Anbieter sollen beim Zugang zu öffentlichen Aufträgen (beispielsweise im Bau oder öffentlichen Verkehr) den inländischen gleichgestellt werden. Dazu sollen soziale und ökologische Kriterien wie Tarifbindung, lokale Herkunft oder ökologische Verträglichkeit untersagt werden, da sie angeblich ausländische Anbieter diskriminieren. So gehen die beabsichtigten Liberalisierungen über Ausnahmen des GATS hinsichtlich des öffentlichen Versorgungssektors und die EU-Dienstleistungsrichtlinie (2006/123/EG), in der z.B. Dienstleistungen in den Bereichen Gesundheit, Finanzen, Verkehr oder Leiharbeit ausgenommen sind, hinaus.













Quellen
1 „TRADE IN SERVICES, INVESTMENT AND E-COMMERCE“ - Entwurf der EU-Kommission, vergl. www.zeit.de/wirtschaft/2014-02/freihandelsabkommen-eu-sonderrechte-konzerne/komplettansicht
2 „Leitlinien für die Verhandlungen über die transatlantische Handels- und Investitionspartnerschaft zwischen der Europäischen Union und den Vereinigten Staaten von Amerika“, vergl. www.ttip-leaks.eu
3 www.bay-staedtetag.de/index.php
4 www.freitag.de/autoren/felix-werdermann/der-verklagteatomausstieg
5 www.taz.de/!130215/
Weiterführendes
Le Monde diplomatique 8/11/13 „TAFTA – die große Unterwerfung“ | Autorin: Lori Wallach, Juristin für Handelsrecht u. Leiterin der weltgr. Verbraucherschutzorganisation (Public Citizen´s Global Trade Watch in Washington/USA, vergl. www.monde-diplomatique.de/pm/2013/11/08.mondeText1.artikel,a0003.idx,0
Der Freitag 27/11/13 „So wird Demokratie geschreddert“ |
Autor: George Monbiot Kolumnist in „The Guardian“ GB. Vergl. www.freitag.de/autoren/der-freitag/so-wird-demokratie-geschreddert
Süddeutsche Zeitung 5.7. 2013 „Der Investor ist unantastbar“ (nicht im Internet verfügbar) Autor: Fritz Glunk Herausgeber „Die Gazette“
ver.di, Dezember 2013, Bundesverwaltung „Angriff auf Löhne, Soziales und Umwelt“ (siehe Anhang)
Hans Böckler Stiftung 15/10/13 „TTIP Wagnis für wenig Wachstum“ |
Autorin: Dr. Sabine Stephan, IMK. Vergl. www.boeckler.de/46154_46182.htm
Peter Gauweiler CSU – stv. Parteivorsitzender im Bundestag 17/01/14 |
Zur Bedeutung des TTIP für die Kommunen www.peter-gauweiler.de/pdf/Rede%2017.01.14.pdf
Aktuelle Übersicht zu wichtigen Publikationen: www.attac-Koeln.de/koeln/freihandelsfalle